Dominikanische Republik
Während der durch
Wirbelsturm “Noel” verursachten Tragödie kündigte Nestlé willkürlich elf
Beschäftigten seiner Speiseeisfabrik.
Weitere Maβnahmen
im Anschluss an dieses tarifvertragswidrige Vorgehen belegen eindeutig die
gewerkschaftsfeindlichen Praktiken.
Am Freitag,
dem 7. Dezember fand ein erneutes Treffen der Firmenleitung mit Vertretern
der drei Gewerkschaften von
Nestlé
in der
Dominikanischen Republik statt. Gegenstand war die durch die elf
Entlassungen entstandene Situation. Das transnationale Unternehmen war durch
den Direktor der Speiseeisfabrik, Peter Flowr, den Betriebsleiter,
Walter Brauchle, die Personalleiterin, Ana Isabel, und den
regionalen Personalleiter für die Karibik, Toni Cánovas,
vertreten. Teilnehmer auf Gewerkschaftsseite waren Ramón Durán für
die Gewerkschaft in San Francisco de Macorís, Ramón Castillo als
Vertreter der Gewerkschaft in San Cristóbal; Sergido Castillo y
Bernabel Matos für die Rel-UITA sowie der Vorstand der
Gewerkschaftsorganisation der Speiseeisfabrik.
Zunächst
ist hervorzuheben, dass
Nestlé
durch die gesamte Leitung vertreten war, was den Schluss zulässt, dass das
Unternehmen die Situation ernst nahm. Offensichtlich ist aber auch, dass das
transnationale Unternehmen bei den Beziehungen zu seinen Beschäftigten in
diesem Werk in der letzten Zeit eine despotische und arrogante Haltung an
den Tag gelegt hat und dass es keinerlei Anzeichen für eine Änderung gibt.
Die
Situation im Speiseeisbereich von
Nestlé
überrascht mittlerweile niemanden mehr, weder im Werk noch auβerhalb.
Seit Jahren nimmt das Unternehmen in seinem Speiseeisbetrieb Kürzungen vor,
in deren Verlauf Dutzende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer willkürlich
entlassen wurden. Dieses Vorgehen hat zu berechtigten Protesten geführt,
wobei Nestlé
jedes
Mal von neuem erklärt hat, es habe sich um ein “Kommunikationsproblem”
gehandelt. Wie wir sehen werden, ist die Haltung des Unternehmens in Sachen
“Kommunikation” sehr ambivalent.
Nestlés Vision der Globalisierung
Seit
einiger Zeit besteht die Firmenleitung von
Nestlé
auf einer Verbesserung der Kommunikation mit dem Personal. Seine
Überlegungen zu diesem Thema trug der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens,
Peter Brabeck-Letmathe, 2003 auf dem Weltwirtschaftsforum vor,
das zum ersten Mal in seiner 31-jährigen Geschichte statt in Davos (Schweiz)
in New York tagte. Dort erklärte Brabeck:
“Wir
sind schlechte Kommunikatoren, wenn es darum geht, die Erfolge der
Globalisierung zu vermitteln. Man muss zuerst die eigenen Leute überzeugen.
Wenn ich zum Beispiel alle 255 000 Beschäftigten von
Nestlé
zu Botschaftern der Globalisierung machen könnte, wäre das ein groβer
Fortschritt.”
In einem Interview mit
América
Economía
fügte er
hinzu: “…was
zählt ist, wieviele Menschen die extreme Armut überwinden konnten, um an der
modernen Gesellschaft teilzunehmen, wieviele Menschen auf der Einkommenskala
von einem auf zehn Dollar pro Tag aufgestiegen sind”.
Während
Brabeck-Letmathe diese Erklärungen abgab, verhandelte die Gewerkschaft
der Beschäftigten von
Nestlé
El Salvador über einen neuen Tarifvertrag. Das Angebot, mit dem das
Unternehmen “seine Leute” von den Vorzügen der Globalisierung überzeugen
wollte, bestand aus einer Erhöhung von 0,03 Dollar pro Stunde. Das
bedeutet, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssten 33 Stunden für
einen Dollar und 330 Stunden für zehn Dollar arbeiten. Die Beschäftigten von
Nestlé
El Salvador benötigen somit rund 41 Arbeitstage, um “auf der Einkommenskala
von einem auf zehn Dollar pro Tag” aufzusteigen.
So gut
Nestlé
dieses Angebot auch immer vermittelt haben mag, es
dürfte das Personal des Werks in Ilopango
kaum überzeugt haben. Das gilt umso mehr, als die
Beschäftigten am 28. April 2003 zu Arbeitsbeginn vor
verschlossenen Toren standen. Fast 100
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurden entlassen.
Kann man so jemanden überzeugen? “Eher bringt man
ein Schwein mit dem Stock zum Schweigen”, würden die
Gauchos in Uruguay sagen. Mehrere
Beschäftigte sind damit nicht nur als Botschafter
der Globalisierung ausgefallen, sondern als
“Illegale” zu Parias unter den Einwanderern in den
Vereinigten Staaten geworden.
Wie die Haie
Ein
weiteres Beispiel für die Kommunikationspolitik von
Nestlé,
dieses Mal aus dem Werk San Francisco de Marcorís, in der Dominikanischen
Republik.
Anlässlich des Besuchs einer schweizer Technikergruppe (das ominöse Target
Setting Team) veröffentlichte die Geschäftsleitung am 30. Oktober 2003 ein
Rundschreiben, das mit folgenden Worten schloss:
"Wenn wir als einiges und engagiertes Team
zusammenarbeiten, werden wir Erfolg haben und dieses Boot, in dem wir ALLE
sitzen, in einen sicheren Hafen steuern, ohne unterwegs zu kentern". Ein Stück Poesie: Triumpf, Boot, die See, ALLE…; nette Bilder. Das
Rundschreiben erwähnte jedoch nicht, dass das Unternehmen nur wenige Tage
zuvor elf Beschäftigte willkürlich entlassen hatte. So verhalten sich
Piraten!
Lokal, global: am Ende Dasselbe!
Zum
Abschluss der 13.
Regionalkonferenz der UITA (Santo Domingo, 2. bis 6.
Oktober
2006)
hatte eine Delegation unserer Internationalen Gelegenheit zu einem Gespräch
mit
Peter
Brabeck-Letmahe,
der sich zu der Zeit in der Dominikanischen Republik aufhielt.
Bei dieser Gelegenheit sprachen wir die Kündigungen in dem Speiseeisbetrieb
und die Verletzung des Tarifvertrags an. Brabeck wandte sich
daraufhin an die örtliche Geschäftsleitung und meinte, der Sache müsse man
nachgehen, denn sie “dürfte nicht passieren”.
Mitte
Januar, also drei Monate nach diesem Treffen, wurden weitere 45
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen. Zweck der Maβnahme:
Die entlassenen Beschäftigten sollten durch Arbeitskräfte ohne feste
Anstellung ersetzt werden. Diese hätten keine gewerkschaftliche
Interessenvertretung und würden nicht unter den Tarifvertrag fallen, wodurch
die Untervertragsnehmer niedrigere Löhne zahlen und die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zur Leistung von unbezahlten Überstunden zwingen könnten.
Die Sozialversicherung wäre ebenfalls nicht mehr
verpflichtend.
Anscheinend ist die
Strategie, mit der Nestlé
alle Beschäftigten weltweit von den Vorzügen der Globaliserung überzeugen
möchte, gleichbedeutend mit Stellenabbau.
Brabeck-Letmathe
im Alleingang
Vor einigen Wochen hatte
der Vorstandsvorsitzende von
Nestlé erneut Gelegenheit, die Kommunikation mit seinem
Personal zu verbessern. Am 15. und 16.
November
2007 veranstaltete die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) in
Genf ein Forum anlässlich des 30. Jahrestags der Annahme der
“Dreiparteien-Erklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik”,
an dem Vertreter von Unternehmen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft
teilnahmen. Zur einleitenden Podiumsdiskussion unter dem Titel “Effektive
Maβnahmen
zur Umsetzung der Arbeitsprinzipien”
hatte die IAO Peter Brabeck-Letmathe eingeladen. Da Brabeck
eine Teilnahme der UITA ablehnte, obwohl sie weltweit die
überwältigende Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von
Nestlé
vertritt, sprach Brabeck allein.
Wie unser
Generalsekretär Ron Oswald in seinem offenen Brief an Peter
Brabeck-Letmathe zutreffend schreibt, stellt diese Episode “ein
enttäuschendes und überhebliches Vorgehen seines Unternehmens dar, das im
Einklang mit der permanenten Weigerung steht, die UITA auch jenseits
der Grenzen Europas anzuerkennen. (…) Da es bei der Diskussión um
best practice geht, ist es äuβerst bedauerlich, dass
Nestlé
vor allem über Europa sprechen möchte, also über eine Region, in der
es eine Gesetzgebung zu best practice gibt und in der eine starke
Gewerkschaftspräsenz an den meisten Orten mit
Nestlé-Präsenz
einen Rückfall hinter diese Standards verhindert.
An anderen Orten der Welt ist das Vorgehen der Firma aus ethischer Sicht
viel problematischer”, betont Ron in seinem Schreiben.
In diesem Universum mit seinen 255 000 Beschäftigten, die Brabeck
überzeugen möchte, sind nicht alle gleich und, wie am Fall
San
Francisco de Macorís zu sehen war, ist in der “Arche”
Nestlé
nicht genug Platz für alle. Die Beschäftigten der
Nestlé-Welt
in Europa gehören einer zweifelhaften Oberschicht an und dürfen auf
dem Gruppenfoto erscheinen, während alle übrigen Exemplare bei National
Geographic auftreten könnten.
Nestlé-Eis ohne Gewerkschaft
Die Geschäftsführung der
Speiseeisfabrik von Nestlé
in der Dominikanischen Republik scheint Peter Brabeck zu
paraphrasieren, wenn sie wiederholt argumentiert, dass die Probleme auf eine
schlechte Kommunikation der Gewerkschaft mit dem Unternehmen zurückzuführen
sind.
So
geschehen auf einem Treffen am Freitag, dem 7., als die Firmenvertreter zu
Anfang über die Notwendigkeit einer verbesserten Kommunikation sprachen.
Aber wie ist es zu
erklären, dass die Firma trotz monatlicher Treffen aller Parteien
schwerwiegende Entscheidungen wie die angesprochenen trifft, ohne die
Gewerkschaft zu unterrichten? Wie ist es zu rechtfertigen, dass die
Geschäftsführung die Gewerkschaft zum Dialog aufruft und Wert auf die
Anwesenheit aller Mitglieder der Gewerkschaftsführung legt, während
gleichzeitig in einem anderen Büro die Personalleiterin den entlassenen
Beschäftigten die Abfindungen aushändigt? Keine Kommunikation kann derart
plumpe Manöver dissimulieren.
Zur gleichen Zeit schickte
eine Arbeitnehmerin, Cristina de la Cruz, der Gewerkschaft einen
Brief, in dem sie ihren Austritt erklärte. Eine Erklärung dieser Art wäre
eine Routineangelegenheit, wenn es da nicht ein Detail gäbe: Das Schreiben
erfolgte auf Briefkopf-Papier von Nestlé Dominicana S.A. Aufmerksam
der Stimme ihres Herrn lauschend wie Victor, der Hund von RCA, entschloss
sich die örtliche Geschäftsführung von
Nestlé,
ohne weitere Umwege ihre Version der Ereignisse zu “kommunizieren”: Die
Firmensekretärin hat das Austrittsgesuch von Cristina de la Cruz
aufgesetzt, ohne darauf zu achten, dass sie dazu offizielles Briefpapier des
Unternehmens benutzte.
Stellen wir
uns für einen Moment die Abmahnung aus Vevey vor: Manche Rundschreiben
sollte man besser nicht schreiben.
Solche
Vorgänge strafen die von Brabeck-Letmathe vorgetragenen Absichten
Lügen und lassen Zweifel an der sozialen Verantwortung des Unternehmens
aufkommen, auf die sich
Nestlé
so viel einbildet; vor allem aber verletzen sie den Tarifvertrag und die
dominikanischen Gesetze und diskriminieren die Gewerkschaftsorganisation.
Fehlende Kommunikation?
Ganz im
Gegenteil: Nestlé
vermittelt sehr eindeutig die Botschaft, dass die beste Gewerkschaft eine
inexistente Gewerkschaft ist.