Mit Harald
Wiedenhoffer
Der Milchsektor:
grosse Probleme, grosse Herausforderungen
Der
Generalsekretär des Europäischen Verbands der Nahrungsmittelgewerkschaften
(EFFAT), Harald Wiedenhoffer, sprach mit Sirel über die im März bevorstehende
Konferenz des Milchsektors in Argentinien.
EFFAT ist die europäische
Regionalorganisation der IUL/UITA und Mitglied des Europäischen
Gewerkschaftsbundes (EGB).
-Im Vorfeld der
Konferenz würde uns deine Einschätzung des Sektors interessieren.
-Was die
transnationalen Unternehmen angeht, so sind in Europa alle Hauptakteure
anzutreffen, denn in der Milchverarbeitung sind die bereits bekannten Firmen
wie Campina, Nestlé, Unilever und Fonterra
vertreten. In den europäischen Betriebsräten setzen wir uns für die Anerkennung
der Gewerkschaften vor Ort sowie auf nationaler, regionaler und globaler Ebene
ein. Wir versuchen, mit diesen Unternehmen möglichst vorteilhafte Vereinbarungen
auszuhandeln.
-Das Gewicht
dieses Sektors ist ziemlich gross …
-Der Milchsektor
mit seinen 400 Tausend Arbeitsplätzen und über 12 Tausend milchverarbeitenden
Firmen hat in Europa grosse Bedeutung. In manchen Ländern, vor allem
Deutschland, Frankreich, Italien, Holland und Polen,
ist er besonders wichtig.
-Vor welchen
Problemen steht er?
-In diesem
Wirtschaftsbereich gibt es eine Reihe von Schwierigkeiten. Da ist zunächst der
Konsolidierungs- und Umstrukturierungsprozess, der bereits seit mehreren Jahren
im Gang ist. Arbeitsplätze sind verloren gegangen, und EFFAT möchte
erreichen, dass sich dieser Prozess geordneter und sozialverträglich vollzieht.
Zweitens haben wir
mit dem Einzelhandel, also den Geschäften und Supermärkten, in denen
Milchprodukte verkauft werden, und seiner Einkaufspolitik Probleme. Der
Einzelhandelssektor, der über eine beträchtliche Finanzkraft verfügt, befindet
sich ebenfalls in einer Phase der Umstrukturierung und Konsolidierung, ist dabei
aber weiterhin äusserst mächtig und kann gewaltige Preisnachlässe bei Milch und
Molkereiprodukten durchsetzen. Dieser Preisverfall führt zu einem zunehmenden
Druck auf Arbeitsbedingungen, Kollektivverhandlungen und Löhne.
Gleichzeitig
weichen die Erzeugerpreise deutlich von den Abgabepreisen an die Kunden ab;
deshalb greifen in Europa auch die verschiedenen Kommissionen, vor allem
aber die Europäische Kommission ein und untersuchen die Struktur des
Endverkaufspreises. Uns geht es darum, dass keine Milch unter
Erzeugerpreisniveau verkauft wird. Wir beobachten dieses Phänomen, und manchmal
können die Erzeuger nicht einmal ihre Produktionskosten decken. Wir fordern, den
Verkauf von Milch zu Preisen unterhalb der Herstellungskosten zu verbieten.
Drittens handelt
es sich um einen Sektor, der viele Arbeitsplätze schafft. Es ist daher
notwendig, die Produktion auf dem Land zu stärken und die Weidebewirtschaftung
zu verbessern und dabei den Umweltschutz sowie die Kontrolle des Klimawandels
besonders im Auge zu halten.
Bei den Themen,
die EFFAT beschäftigen, geht es viertens um die Zukunft des europäischen
Milchmarktes. Bekanntlich reguliert Europa seine Märkte, die Gemeinsame
Agrarpolitik und ihre Reformen haben jedoch den Milchmarkt nicht mit einbezogen.
Dieses Thema wird in den kommenden Jahren auf der Tagesordnung stehen, und wir
werden sicherstellen müssen, dass Europa auch weiterhin ein bedeutender
Milcherzeuger bleibt, weshalb wir als Gewerkschaften an der Debatte und dem
Prozess beteiligt werden müssen.
Und schliesslich
beunruhigt uns in Europa die Frage der Milchersatzprodukte. Wir haben es
hier mit einem Sektor zu tun, der neue Produkte erfindet, entwickelt und
herstellt, die wie Milch schmecken und aussehen, jedoch nicht auf der Grundlage
von Milch, sondern von anderen, billigeren Grundstoffen hergestellt werden. Hier
muss eindeutig zum Thema Produktkennzeichnung gearbeitet werden, damit der
Verbraucher genau weiss, was er kauft.
-Europa ist mit
zahlreichen Delegierten auf der Konferenz vertreten…
-Die Delegierten
der europäischen Gewerkschaften setzen grosse Erwartungen in diese Tagung. Seit
Jahren findet schon keine sektorspezifische Konferenz statt. Wenn ich mich
richtig erinnere, fand die letzte Konferenz vor mehreren Jahren in Neuseeland
statt, und es ist dringend nötig, die globalen Herausforderungen, vor denen der
Sektor steht, zu analysieren. Ich kann euch versichern, dass die europäischen
Vertreter und ihre gewichtigen Interventionen einen Beitrag zu einer wirklich
internationalen Antwort auf diese Herausforderungen leisten werden.